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Das magische Reittier

Im fernen Indien regierte einst ein mächtiger Maharadscha mit Weisheit und Weitsicht sein Volk, das ihn sehr liebte . Er war für seinen Humor weit bekannt und galt bei den sonst eher strengen Herrschern im alten Indien als richtiger Spaßvogel.

Eines Tages ließ er unter seinem Volk die Nachricht verbreiten, er habe ein neues magisches Reittier mit schier unglaublichen Eigenschaften. Viele Menschen machten sich auf, das neue Reittier des Maharadschas zu erkunden. Es wurde viel spekuliert, welcher Art das Tier wohl sei und wie stark, wie groß und dass es wohl fliegen könne und Feuer spucken und so weiter und so fort.

Der Maharadscha erlaubte es jedoch keinem der Neugierigen, das ganze Tier zu sehen. Jeder mußte sich seine Augen verbinden lassen, so dass er nichts mehr sehen konnte und wurde an eine bestimmte Stelle des Tieres geführt, wo er es dann betasten konnte.

So machten sich auch fünf Menschen als Abgeordnete eines weit von der Residenz des Maharadschas entfernten Dörfchens auf, das Reittier zu erkunden, um den Menschen im Dorf nach ihrer Rückkehr von dem Tier berichten zu können. Wie allen Neugierigen verbanden die Knechte des Maharadschs unseren fünf Abgesandten aus dem fernen Dörfchen die Augen und führten sie an das magische Reittier heran.

Den ersten führten die Knechte direkt an eine Seite des mächtigen Körpers des Tieres heran. Der Abgesandte befühlte den Körper des riesigen Reittieres von seinem Standpunkt aus, den er auch nicht verlassen durfte. So weit er sich auch reckte und streckte, überall fühlte er eine bebende durch den Atem des Tieres sich bewegende große und pulsierende Wand. So rief er denn auch zu seinen Kollegen aus: „Das Tier ist eine irrsinnig große pulsierende Wand!!!, Ja es ist unglaublich, das ganze Tier ist eine riesige pulsierende Wand, die nach oben und unten und zu den Seiten einfach kein Ende hat.

Den zweiten Abgeordneten führten die Knechte an ein Bein heran und ließen ihn das Tier erfühlen. Der Abgeordnete fühlte und umarmte das Bein, ging mit seinen Händen nach oben, soweit er es erreichen konnte und nach unten zum Boden und kam zu dem Schluß, das ganze Tier sei ganz klar und eindeutig eine Säule, so groß und unfassbar riesig, dass er das Ende nicht erreichen konnte. Und da sich das Tier in diesem Augenblick auch etwas bewegte rief er aus: „Das Tier ist eine riesengroße lebende sich bewegende Palastsäule!“

Den dritten Abgeordneten führten die Knechte an den Rüssel des Tieres heran. Der Abgeordnete umfasste den Rüssel mit beiden Armen und wurde unversehens vom diesem emborgehoben. Der Abgeordnete schloss messerscharf, dass es sich bei dem Reittier um eine Riesenschlange handeln müsse, so groß und riesig, dass er von seinem Standpunkt aus die Enden, also Kopf und Schwanz nicht erfassen könne. Und unvorstellbar stark sei diese Schlagen die ihn einfach mal so mir nichts – dir nichts trotz seines hohen Gewichtes in den Himmel emporgehoben habe.

Den vierten Abgeordneten stellten die Knechte auf eine große Leiter, so dass er das große Ohr des Reittieres betasten und befühlen konnte. Der Abgeordnete wurde von dem großen hin- und herwedelnden Ohr des Tieres beinahe von der Leiter gefegt und er musste sich mit aller Kraft dorf oben festhalten Das große hin- und herwedelnde Ohr bekam er nur ab und zu einmal zu fassen. Es fühlte sich an wie ein Fell, jedenfalls war es riesengroß, bewegte sich kraftvoll in der Luft und durch die Luft (er stand ja schließlich auf einer Leiter) und es hatte einen eher flachen Körper. Der Abgeorndnete überlegte, was das wohl für ein Tier sein könnte und kam zu der felsenfesten Überzeugung, dass es sich ganz bestimmt um einen dieser legendären lebenden fliegenden Teppiche handeln müsse.

Den fünften Abgeordneten, dessen Verwirrung ob der unterschiedlichen Schilderungen seiner Kollegen immer weiter anwuchs, führten die Knechte schließlich an die Hinterseite des Tieres heran und ließen ihn auch eine kleine Leiter besteigen. Oben angekommen schlug ihm der Schwanz des Tieres um die Ohren. Schließlich gelang es ihm den Schwanz des Tieres zu fassen zu bekommen und er fühlte, dass es etwas eher dünnes war, das wie eine Peitschenschnur mit solcher Kraft hin- und herzuckte, dass es ihn beinahe von der Leiter riss. Für ihn war somit klar, dass es sich bei dem neuen Reittier des Maharadschas ohne zweifel um eine fliegende Peitsche handeln musste.

Nach dem jeder unserer fünf Abgeordneten die Gelegenheit hatte, das magische Reittier des Mahradschas auf diese Weise zu erkunden, trafen sie sich wieder, um zu beratschlagen, was sie den Menschen in ihrem Dorf über das magische Reittier berichten wollten. Schon nach wenigen Sekunden brannte die Luft! Jeder berichtete etwas völlig anderes und jeder beharrte auf seiner Sichtweise der Dinge, weil er sie ja selbst so erfahren hatte. Wenig später schlugen sie aufeinander ein, zerrissen sich gegenseitig die Kleider und bezichtigten sich gegenseitig der Lüge und des Betrugs.

Gott sei Dank griff aber dann doch der Maharadscha höchst persönlich ein und und ließ die Streithähne voneinander trennen und ließ sie sich vorführen. Ob sie sich nicht schämten, in seinem Palast eine solche Prügelei vom Zaune zu brechen, wurden sie gefragt. Dann fragte der Maharadscha warum sie sich den so prügelten, wo sie doch als fünf Freunde aus einem weit entfernten Dorf hierher gekommen seien. Da antwortete einer von ihnen: „Ja, eure Majestät, wir sind als Freunde gekommen, aber ich habe mich wohl schwer in meinen Freunden getäuscht. Alle sind erbärmliche Lügner und sagen die Unwahrheit!“

„Ist das wirklich so?“ fragte der Maharadscha die übrigen Anwesenden. „Er lügt wie gedruckt!“ schrieen sie da alle durcheinander. „Und die anderen auch. Sie berichten von eurem neuen Reittier etwas, wie es nun wirklich nicht ist. Ich habe da etwas ganz anderes gesehen“. Da fragte der Maharadscha einen nach dem anderen, was er denn genau über sein neues Reittier habe erfahren können.

„Eure Majestät,“ berichtete da der erste Abgeordnete, „euer Reittier ist wie eine riesige Mauer“ „Und was habt ihr über mein neues Reittier erfahren?“, wandte sich der Maharadscha an den zweiten Abgeordneten. „Ich habe eine riesige Säule ertastet“ sagte da der zweite Abgeordnete. Der dritte berichtete dann von der Riesenschlange, der vierte von dem fliegenden Teppich und der fünfte im Bunde von der fliegenden Peitsche.

Da sagte der Maharadscha zur Verwunderung unserer Abgeordneten: „Ja, ihr alle sprecht nichts als die reine Wahrheit, keiner von euch ist ein Lügner oder Betrüger. Aber ihr alle seid hitzige Dummköpfe. Kommt mit, schaut euch mein neues Reittier noch einmal genau an und berichtet mir dann was ihr erfahren habt.“ So führte der Maharadscha unsere fünf Streithähne in den Stall zu seinem Reittier: und was sahen sie dort? Sie mussten erkennen, dass sie tatsächlich alle die Wahrheit sprachen, dass sie aber versäumt hatten, den Gesamtzusammenhang ihrer Einzelwahrheiten zu erkunden. Und als sie den prächtig geschmückten Reitelefanten in seinem Gehege erblickten, schämten sie sich über ihre Wutausbrüche und baten einander um Verzeihung.

Warum ich euch diese Geschichte erzähle?

Weil unser Ökodorfprojekt auch so ein riesiger Elefant, so ein riesengroßes, mächtiges, magisches, wunderschönes Fabelwesen ist, das wir in diese Welt holen möchten.

Jeder von uns hat aber nur eine begrenzte Wahrnehmung und Vorstellung von der Wirklichkeit und jeder von uns macht häufig und sehr gerne den Fehler, seine Wirklichkeit, die letztendlich in seinem Kopf entsteht, für Die absolute Wahrheit, die Realität, und absolute Wirklichkeit zu halten und sich nicht über seine begrenzte Wahrnehmung bewußt zu sein, die ihm nur einen winzig kleinen Bruchteil dessen, was wir Realität nennen, in sein Wachbewußtsein übermittelt.
Wir alle sind es gewohnt, eher auf das zu achten, was uns voneinander trennt, als darauf unser Augenmerk zu richten, was uns verbindet und was uns zu einem besseren Verständnis unserer Realität hinführen könnte.

Auch unser Ökodorfprojekt braucht die sinnvolle und effektive Zusammenarbeit von vielen unterschiedlichen Menschen, damit unser gemeinsamer Traum in unserer sichtbaren Realietät ankommen kann. Die kleine lustige Geschichte vom neuen Reittier des Maharadschas zeigt uns noch einmal eindrucksvoll, wohin es führt, wenn wir unsere persönliche Sichtweise der Dinge als absolut massgebend auffassen und wir uns für die von anderen Menschen empfundene Wahrheit verschließen. Die Lösung, die auch in unserer Geschichte zum Ausdruck kommt, liegt darin, sich von einer starren „entweder-oder-Sichtweise“ zu lösen und uns mehr und mehr für eine neue „sowohl-als auch-Sichtweise“ zu öffnen.

Im Oktober habe ich ja, wie auf unserem letzten Stammtischtreffen berichtet, an einer Zukunftskonferenz teilgenommen. (Eine Zukunftskonferenz dient dazu, aus einer Vielzahl von Menschen und Meinungen für z.B. ein Unternehmen neue Impulse für die Entwicklung in der Zukunft zu gewinnen. Auch sehr interessant übrigens für unser Ökodorf-Projekt – wie ich meine.) U.a. wurde dort in Kleingruppen von etwa 10 Menschen zu einem bestimmten Thema zusammengearbeitet. Wichtig, um ein verwertbares Ergebnis zu erhaltenwar in jedem Falle, das herauszuarbeiten, was allen Gedanken gemeinsam war, den größten gemeinsamen Nenner zu erkunden, um von einer begrenzten Sichtweise zu einer umfassenderen Sichtweise zu gelangen.

Wenn unsere fünf Freunde aus dem weit entfernten Dorf über diese Erkenntnisse damals schon verfügt hätten, hätten sie sich so manche Beule, zerrissene Kleider und sonstige Unannehmlichkeiten ersparen können. Wenn sie ihre Eindrücke zusammengetragen und miteinander zu etwas größerem Ganzen verbunden hätten, wären sie dem Geheimnis wohl ganz bestimmt auf die Spur gekommen. So aber, wo nur ein entweder-oder bei den Diskussionen Platz hatte...

So laßt uns denn stets darauf schauen was uns miteinander verbindet und laßt uns danach trachten, scheinbare Widersprüche dazu zu nutzen, das große Ganze ein Stück weit besser zu erkennen und tiefer zu verstehen.

Bernd

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